Überblick über die einschlägige Rechtslage zur Bewältigung digitaler Gewalt:
Während zu Beginn des Internets auf seine Selbstregulierungskräfte vertraut wurde, bestehen heute schon zahlreiche einschlägige Rechtsnormen – so zum Beispiel:
- UrhG
- TMG
- JMStV
- DSGVO und BDSG
Hier soll das StGB, das KunstUrhG und seine internetspezifische Ergänzung durch das NetzDG im Fokus stehen. Wesentliche Tatbestände sind insbesondere:
- §§ 185 ff. StGB: Wohl der Regelfall sind verbale herabsetzende Attacken und Darstellungen
- § 223 StGB: Massive psychische Folgen sind in zahlreichen Fällen sogar als Körperverletzung zu bewerten
- § 238 StGB: Bei anhaltendem „Hating“ kann womöglich selbst eine Nachstellung („Stalking“) vorliegen
- §§ 240 f. StGB: Nötigungen und Bedrohungen sind denkbar
- § 201 StGB: Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs kommen ebenso in Betracht
- §§ 22, 33 KunstUrhG: Hochladen von Bildern ohne Einwilligung
- § 131 StGB: Online-Stellen von gefilmten Gewalttaten gegen Mitschüler
Bei der Anwendung der Straftatbestände stellt sich in der Praxis das Problem, dass es sich im Kontext Cybermobbing oftmals um sehr junge Täter handelt (vgl. § 19 StGB und §§ 1 Abs. 1 und 2 und 3 JGG).
Obschon auch eine zivilrechtliche Verfolgung in Betracht kommt, enden bislang in der Praxis also insgesamt nur wenige Fälle vor Gericht (Katzer, Cybermobbing, 2014, S. 74 f.).
Durch das NetzDG kommt es nun zwar verstärkt zur unmittelbaren Durchsetzung einiger Normen (vgl. § 1 Abs. 3 NetzDG) – also insbesondere zur Löschung rechtswidriger Inhalte – durch die jeweiligen Netzwerke, was für Mobbing-Betroffene auf den ersten Blick eine gute Nachricht zu sein scheint. Jedoch werden in der Rechtswissenschaft immer wieder ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des NetzDG geäußert (Stichworte: Angst vor „Overblocking“ und Gefährdung der Meinungsfreiheit) – und auch „Reparaturversuche“ des NetzDG scheinen reihum unter keinem guten Stern zu stehen, da wirkliche Abhilfe ausbleibt.
Ethische Fragen im Zusammenhang der Durchführung von Prüf- und Löschpflichten im Netz werden in aufrüttelnder Weise in dem Film „The Cleaners“ aufgeworfen.
Auch vor dem Hintergrund, dass im Übrigen weder der frühere Rundfunkstaatsvertrag, noch der neue Medienstaatsvertrag, der insoweit nur journalistische Inhalte betrifft, digitaler Gewalt im Netz hinreichend begegnen, ist weiterhin ein allgemeiner Ruf nach angemessener(er) Regulierung vernehmbar.
Denn: Hate-Speech ist mittlerweile als gesamtgesellschaftliches Phänomen anzusehen und mit dem Strafrecht kann in unserer pluralistischen Gesellschaft auf Dauer keine Einigkeit über die Spielregeln des verbalen Austauschs im Netz erzwungen werden.
Bei der juristischen Bewältigung des Problems scheint dem liberalen Rechtsstaat zum Verhängnis zu werden, dass sich die durch ihn lang erkämpfte „Freiheit“ – die hier nicht kritisiert oder in Abrede gestellt werden soll – vor jeder inhaltlichen Bewertung bestimmter Äußerungsformen und -praktiken verschließt, soweit sie nicht strafrechtliche Tatbestände erfüllen. Sowohl für Lügen (Stichwort: fake-news) als auch für Gemeinheiten fehlt dem offenen modernen Staat ein durchsetzungsfähiger ethischer Maßstab. Das war lange Zeit kein Problem. Doch die in der besonderen Sphäre der Online-Umgebung entstehenden Ballungen der „freien“ Wort-, Sprach- und Videobeiträge führt zu einer besonderen „Macht durch Masse“, für die bislang noch Antworten fehlen.
Autor: Benedikt Leven
Benedikt Leven hat Rechtswissenschaft studiert und promoviert an der Universität Passau bei Professor von Lewinski zu Hate-Speech und Fake-News in ihrer Bedeutung für den öffentlichen Diskurs der Demokratie. Das Thema „Cybermobbing“ interessiert ihn, weil es so nah mit der digitalen Gewalt verwandt ist, die sich gegen die öffentliche Meinungsbildung richtet. Für das Wintertreffen von Colored Glasses im Januar 2021 hat er einen Workshop zu diesem Thema konzipiert und den Teilnehmenden so wissenschaftliche Perspektiven darauf nähergebracht.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Benedikt Leven!
Seinen Lebenslauf, seine Publikationshistorie und seine Kontaktdaten findet ihr hier auf der Webseite der Universität Passau.
Ihr möchtet mehr über das Thema „Cybermobbing“ erfahren? Den nächsten Teil der Reihe findet ihr ab dem 25.02.2021 hier auf unserem Blog.