Einführung in die sozialwissenschaftlichen Hintergründe der Online-Sphäre, in der sich Hate-Speech und andere Formen digitaler Gewalt entfalten:
Was im Internet konkret an Cybermobbing geschieht und nun in den Blick genommen werden soll, ist – jeweils für sich betrachtet – eine bestimmte Art der „Kommunikation“, soll heißen: Die Übermittlung einer Nachricht von einem oder mehreren Sendern zu einem oder mehreren Empfängern (vgl. Röhner/Schütz, Psychologie der Kommunikation, 3. Aufl. 2020, S. 7 m.w.N. – auch die folgenden Kategorien der Kommunikation sind im Wesentlichen diesem Werk entlehnt).
Was unterscheidet diese digital vermittelte Kommunikation von bisheriger Kommunikation?
Im Rahmen der nicht digital vermittelten Kommunikation war im Ergebnis stets prägend, dass verbale Angriffe privater Einzelakteure in aller Regel eine sehr überschaubare Wirkkraft hatten – oder in ihrer destruktiven Macht jedenfalls recht leicht wieder „eingefangen“ werden konnten:
Bei (alltäglicher) „Direktkommunikation“ – zwischen einer überschaubaren Anzahl von Individuen oder auch in größeren Menschenansammlungen oder gar thematisch konzentrierten Versammlungen – hatte der einzelne Wortbeitrag eine natürlicherweise eingeschränkte Reichweite. Außerdem war durch den meist klaren sachlichen Kontext und die in aller Regel mögliche Konfrontation mit Gegenansichten eine gewisse „Sittlichkeit“ gegeben.
Aber auch im Rahmen der klassischen Medienkommunikation, die eine weitaus größere Reichweite hatte, wirkten auf Sorgfaltspflichten eingeschworene „Gatekeeper“ für die Filterung oder zumindest die Einbettung sprachlicher Ausbrüche.
Dies hat sich in der digital vermittelten Kommunikation verändert.
Zwar gibt es auch hier Wege zur direkten Individualkommunikation (etwa per Mail oder Individualchat), die weiterhin ähnliche Merkmale aufweisen wie die bisherige Direktkommunikation (s.o.).
Doch besonders kritisch ist, was auf Weblogs, in Foren und – allen voran – auf sozialen Netzwerken geschieht:
Jede(r) Einzelne kann dort Beiträge leisten und dabei ein weltweit verstreutes Massenpublikum erreichen. Während Privates zunehmend durch die Kultur des Teilens, Postens und Likens öffentlich (und damit verstärkt einsehbar und angreifbar) wird, führt die weitverbreitete Anonymität bzw. die Möglichkeit zur Täuschung über die eigene Identität zu Empathie-Schwund, Enthemmung und Machtungleichgewichten (vgl. nur den durch John Suler beschriebenen „Online-Disinhibition“-Effekt) – bei fehlendem Bewusstsein für die potenzielle Strafbarkeit des eigenen Verhaltens gerade unter Jugendlichen (Katzer, Cybermobbing, 2014, S. 15).
Einmal offenbarte Fehltritte oder ihre hämische Verwertung sind nachträglich kaum aus dem – „durchsuchbaren“ – Netz zu bekommen, das wahrlich „nichts vergisst“: Korrigierende Eingriffe sind praktisch kaum durchführbar (vgl. zu einem umständlichen Ansatz des Rechts auf Vergessen Googles Antragsformular zur Entfernung personenbezogener Daten). Und überhaupt scheinen „Ordner“ mit schlichtenden Funktionen an wesentlichen Stellen noch gänzlich zu fehlen. Vielmehr werden durch die Geschäftsmodelle der zentralen vermittelnden Akteure (soziale Netzwerke) „Ausraster“ sogar noch befördert, da gerade provozierende Beiträge Aufmerksamkeit auf sich ziehen und so den „Marktwert“ der konkreten Anzeige erhöhen (vgl. nur die insoweit wohl bewusst provokante Netflix-Produktion „The Social Dilemma“).
Dadurch entsteht eine ganz neue, völlig unüberschaubare Dynamik: Jeder kann jeden aus allen Teilen der Welt jederzeit – und durch technische Hilfsmittel verstärkt – regelrecht mit Cybermobbing „bombardieren“ (Stichwort: Shitstorm).
Autor: Benedikt Leven
Benedikt Leven hat Rechtswissenschaft studiert und promoviert an der Universität Passau bei Professor von Lewinski zu Hate-Speech und Fake-News in ihrer Bedeutung für den öffentlichen Diskurs der Demokratie. Das Thema „Cybermobbing“ interessiert ihn, weil es so nah mit der digitalen Gewalt verwandt ist, die sich gegen die öffentliche Meinungsbildung richtet. Für das Wintertreffen von Colored Glasses im Januar 2021 hat er einen Workshop zu diesem Thema konzipiert und den Teilnehmenden so wissenschaftliche Perspektiven darauf nähergebracht.
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Benedikt Leven!
Seinen Lebenslauf, seine Publikationshistorie und seine Kontaktdaten findet ihr hier auf der Webseite der Universität Passau.
Ihr möchtet mehr über das Thema „Cybermobbing“ erfahren? Den nächsten Teil der Reihe findet ihr ab dem 24.02.2021 hier auf unserem Blog.