Flucht und Vertreibung sowie der Umgang mit geflüchteten Menschen gehören zu den Themen, die in letzter Zeit in den Hintergrund geraten sind, keinesfalls jedoch an Relevanz verloren haben. Im Gegenteil – besonders jetzt besteht die Gefahr, dass Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten nicht nur Gewalt und Hunger, sondern noch zusätzlich dem Virus ausgesetzt sind. Gleichzeitig werden in Deutschland Unterkünfte für Geflüchtete zu Hotspots der Epidemie. Mehr als genug Gründe gab es daher für uns, sich nochmal genauer mit unserem Workshopkonzept zum Thema Flucht und Vertreibung auseinanderzusetzen.
So kam es dazu, dass ein Online-Auffrischungsseminar stattfand, bei dem sich unsere Colored-Glasses-Teamenden aus ganz Deutschland mit unserem sogenannten Fluchtkonzept auseinandersetzen konnten. Gastgeberinnen des Seminars waren Saskia Boiselle und Annika Taube, zwei bereits lang aktive Ehrenamtliche, die auch an der Erstellung des Fluchtkonzeptes maßgeblich beteiligt waren.
Wie können wir Fluchterfahrungen nachvollziehen?
Gemeinsam haben wir uns dabei tiefer auf das Thema eingelassen und sind als erstes selbst gedanklich den Weg nachgegangen, den viele Menschen noch vor einer Flucht aus der Heimat gehen müssen. Dabei merkt man schnell, wie wenig wir uns mit dem auseinandersetzen, was noch vor einer Flucht passiert – wie schwer es überhaupt ist, sich auf eine so ungewisse Reise zu machen, weg von Bekannten, Freund*innen oder gar Familienmitgliedern. Aber auch, wie wichtig unter solchen Umständen das Smartphone ist, das häufig zur einzigen Verbindung nach Hause wird.
Anschließend haben wir uns nochmal bewusst gemacht, wie vielfältig die Gründe für Flucht sind: Viel liest man von Krieg, Gewalt und Verfolgung in verschiedensten Teilen der Welt. Solche politischen Fluchtgründe machen aber nur einen Teil aus. Auch ökologische (z. B. Hungersnöte, Naturkatastrophen) sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Gründe (Armut, Perspektivlosigkeit) spielen eine wichtige Rolle und treiben Menschen häufig zur Flucht aus ihrer Heimatregion. Neben solchen sog. Push-Faktoren haben wir auch über Pull-Faktoren gesprochen – Faktoren, die Menschen zu einer Zielregion hinziehen, beispielsweise die Erwartung einer gewaltfreien Lebensumgebung sowie soziale und wirtschaftliche Sicherheit.
Leider sehen wir nach wie vor, dass Menschen auf der Flucht in Aufnahmeländern, darunter auch Deutschland, mit Ablehnung, Ausgrenzung und Gewalt konfrontiert werden. Zwar können wir die Situationen in Krisenregionen nicht kurzfristig verbessern – durchaus können wir aber einen Beitrag zur Inklusion und gegen Diskriminierung dieser Menschen leisten, indem wir in unseren Workshops Jugendlichen die Perspektiven geflüchteter Menschen näherbringen.
Wie diskutieren wir das Thema Flucht mit Jugendlichen richtig?
Entsprechend haben uns Saskia und Annika schließlich gezeigt, wie wir schon vorhandene Colored-Glasses-Module dafür nutzen können. So haben wir praktische Hinweise gesammelt, die bei Workshops zu beachten sind, und gelernt, wie wir im Workshop als Teamende eine positive Rolle einnehmen können. Eine wertvolle Grundeinstellung haben wir dabei darin gefunden, in unseren Workshops nicht über andere zu sprechen und zu urteilen, sondern stets einen reflektierten Austausch zum Thema Flucht und Vertreibung anregen zu wollen. Dazu gehört aber auch, Workshopteilnehmenden mit Fluchterfahrungen den Raum zu lassen, sich auszudrücken, und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit zu geben, sich zurückzuziehen.
Wie wollen wir Flucht zukünftig bei Colored-Glasses-Workshops integrieren?
Das gemeinsame Beisammensitzen mit Menschen, mit denen man ganz bestimmte Interessen und Ziele teilt, fehlte in den letzten Monaten vielen von uns. Umso mehr haben wir die Möglichkeit genossen, bei diesem aufschlussreichen Kurz-Online-Seminar zum Thema Flucht dabei zu sein und gemeinsam mit anderen CGler*innen für das Erreichen unserer gemeinsamen Ziele zu arbeiten. Der Umgang mit Flucht und Vertreibung spielt hierfür eine zentrale Rolle – daher möchten wir in naher Zukunft das Fluchtkonzept auch in unser allgemeines Workshop-Konzept integrieren und dem Thema damit den Raum geben, den es benötigt.
Autor: Marius Berger